Mythos Lerntypen? Das sagt die Wissenschaft

Wer möglichst gut und effektiv lernen möchte, sollte den eigenen Lerntyp herausfinden und beim Lernen darauf achten, zum Lerntyp passende Methoden anzuwenden! … aber ist diese Annahme wissenschaftlich haltbar? Existieren unterschiedliche Lerntypen und ist diese Kategorisierung überhaupt hilfreich? Darum geht es in diesem Artikel.

Was sind Lerntypen?

Im deutschsprachigen Raum ist dabei vor allem die Aufteilung von Lerntypen, bzw. Lerntypologien nach Vester (2021) bekannt. Unterschieden wird zwischen auditiven, visuellen, haptischen und kognitiven Lerntypen.

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Die Grundannahme lautet: Je mehr sich die Lehrmethode an den Lerntyp anpasst, desto effektiver lernst du. 

Auditive Typen lernen optimal, wenn sie Informationen hören – etwa bei Vorträgen oder Podcasts. Visuelle Typen lernen am besten durch das Lesen und Schreiben von Inhalten und bei haptischen Typen ist es am effektivsten, wenn diese direkt mit anpacken und die Dinge ausprobieren – also »learning by doing«.

Folgt man dieser Annahme, dann würde sich die Leistung von Lernenden verbessern, wenn die Inhalte angepasst auf ihren favorisierten Lerntyp vermittelt werden. Intuitiv ergibt dieses Konzept erst einmal auch viel Sinn – denn schließlich sind ja alle Menschen unterschiedlich, also warum nicht auch die Art und Weise, wie wir am besten lernen?

Lerntypologie nach Vester (Quelle: Eigene Darstellung)

Nicht nur in meinem Bekanntenkreis ist der Glaube an Lerntypen weit verbreitet. Es gibt mehr als 70 unterschiedliche Lerntypologien, die jeweils eigene, unterschiedliche Lerntypen vorschlagen (Coffield et al., 2004). 

89 % von über 15.000 befragten Pädagog:innen sind der Überzeugung, dass die Unterrichtsmethoden auf die Lerntypen von Schüler:innen angepasst werden sollten (Newton & Salvi, 2020). 

Von 39 untersuchten Bildungsinstitutionen in den USA sind Lerntypen bei 70 % ein fester Bestandteil der Ausbildung von Lehrer:innen (Aslaksen & Lorås, 2018). 

Auch auf den Websites von zahlreichen Universitäten, Magazinen und Zeitungen in Deutschland finden sich viele verschiedene Artikel dazu, wie man seinen Lerntyp identifizieren kann, um den eigenen Lernerfolg zu steigern. 

Selbstverständlich gibt es mindestens genauso viele Onlinetests: Bin ich eher der »Theoretiker« oder doch der »Macher«? Eine klare Einschätzung zu deiner Persönlichkeit bekommst du schon nach fünf Minuten!

Wie sind die Fakten?

Aber lässt sich diese weit verbreitete Annahme von verschiedenen Lerntypen auch beweisen? Wissenschaftliche Standards setzen hier klare Maßstäbe. 

Man wählt eine Gruppe von Menschen aus, befragt sie nach ihren Lerntypen und teilt sie dann in zwei Gruppen auf. 

Die Hälfte der Teilnehmer:innen bekommt Lernmaterialien, die zu ihrem »Lerntyp« passen. Die andere Hälfte erhält Materialien, die nicht zum angegebenen »Lerntyp« passen. 

Anschließend wird der Lernerfolg in beiden Gruppen getestet. Zeigt sich ein (signifikanter) Unterschied zugunsten der Gruppe mit passenden Materialien, ist dies ein Beleg für die Existenz verschiedener Lerntypen (Pashler et al., 2008).

Basierend auf diesem grundlegenden Aufbau wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche, qualitativ hochwertige, Studien in verschiedenen Lernfächern wie Englisch und Mathematik durchgeführt. Das Ergebnis und damit auch die wissenschaftliche Faktenlage ist immer die Gleiche: 

Es gibt keine empirische Evidenz für die Existenz von Lerntypen. 

Lernende haben keinen größeren Lernerfolg, wenn die Methode zu ihrem Lerntyp passt (Aslaksen & Lorås, 2018; Looß, 2001; Newton & Salvi, 2020; Pashler et al., 2008; Schäfer, 2017, Willingham et al., 2015). 

Die weit verbreitete Annahme, dass sich verschiedene Lerntypen unterscheiden lassen, kann folglich nicht bestätigt werden. Zahlreiche Onlinetests, welche einem innerhalb kürzester Zeit grundlegende und allgemeingültige Aussagen über den eigenen Lerntyp attestieren, verfehlen wichtige und grundlegende Kriterien wissenschaftlicher Forschung und der Testpsychologie (Pasher et al., 2008).

Diese Erkenntnisse wirken im ersten Moment etwas enttäuschend: Denn das Denken in klar abtrennbaren Kategorien und »Schubladen« – was die Lerntypen ja eben darstellen – ist wie so oft sehr attraktiv und auch intuitiv schlüssig. Jedoch gibt es für diese Annahme (zumindest im Fall der Lerntypen) keine Evidenz. 

Vielmehr kann es sogar zu negativen Effekten führen, sich selbst einem bestimmten Lerntyp zuzuordnen. Nehmen wir bspw. einmal an, jemand ist davon überzeugt ein haptischer Lerntyp zu sein, also davon, Dinge am besten in der Praxis zu lernen.

Diese Überzeugung könnte dazu führen, dass nun andere effektive Lehrmethoden abgelehnt werden, weil diese nicht haptisch sind (z. B. das Erstellen einer Mindmap).

Welche ist dann die ideale Lehrmethode?

Stellen wir uns einmal kurz vor, wir würden versuchen unser Lernverhalten so oft wie möglich dem eigenen Lerntyp anzupassen. Eine ausführliche Textarbeit im Erste-Hilfe-Kurs anstatt einer praktischen Übung zur stabilen Seitenlage? … eher unpassend.

Ein Podcast zum Aufbau unseres Muskelsystems anstatt einer beschrifteten Abbildung? Eine umfangreiche E-Mail mit detaillierten Anweisungen zum Change-Management anstelle eines motivierenden Videos vom Vorstand? 

Anstatt seine Lehrmethoden also nur an den Lerntyp anzupassen, frage lieber: Welche Methode ist im Einklang mit dem Lerninhalt.

Um diese Lernprozesse zu planen, können visuelle, auditive und haptische Methoden kombiniert werden.

Eine rein mündliche Präsentation ist im direkten Vergleich weniger lernförderlich. Dieser effektive Einsatz von visuellen und auditiven Elementen wird als »Multimediaeffekt« bezeichnet (Mayer, 2009).

Effektive Lernstrategien: Pädagogische Psychologie im Fokus

Es ist durchaus sinnvoll Lernumgebungen zu gestalten, die möglichst gut auf die individuellen Grundvoraussetzungen (wie bspw. das Vorwissen) der Lernenden eingehen. Und natürlich ist es auch wichtig, Methoden zu verwenden, die den Lernprozess möglichst effektiv unterstützen. Die pädagogische Psychologie bietet dafür ein breites Repertoire an möglichen Methoden und Lernstrategien an, die nachgewiesenermaßen effektiv sind. Ein paar Beispiele hierfür sind:

  1. Verteiltes Wiederholen (spaced repetition): Die regelmäßige Wiederholung von Lerninhalten in langsam zunehmenden Abständen fördert, dass wir uns langfristig an die Inhalte erinnern können (siehe auch: Lernen mit Karteikarten, Leitner-Algorithmus & Forgetting Curve).
  2. Selbsttest und Quizzen (active recall): Wir lernen am effektivsten, wenn wir die Lerninhalte selbstständig aus unserem Gedächtnis abrufen, bzw. erinnern. Im Gegensatz dazu ist es deutlich weniger effektiv, mehrmals das Workbook eines Seminars durchzulesen oder mehrmals die Vortragsfolien zu überfliegen.
  3. Vorwissen aktivieren: Das Vorwissen ist einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Prädiktor für den Lernerfolg. Bevor wir etwas Neues lernen ist es deshalb sehr hilfreich, sich das eigene Vorwissen noch einmal bewusst zu machen, bzw. dieses zu aktivieren. Z. B. »Was weiß ich bereits über das Thema?«, »Welche Fragen oder Unsicherheiten habe ich?«, »Welche wichtigen Begriffe fallen mir dazu ein?«.
  4. Mindmapping: Das Erstellen von eigenen Mind- und Concept-Maps hilft uns dabei, die Lerninhalte im Gedächtnis zu organisieren und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Inhalten besser zu verstehen.
  5. Zusammenfassungen schreiben: Wenn wir eigene Zusammenfassungen schreiben, müssen wir (1) die Lerninhalte richtig verstehen und (2) diese auf die wirklich wichtigen Aspekte herunterbrechen.
  6. Lernen durch Erklären (z. B. die Feyman-Methode): Schon Albert Einstein sagte (angeblich): »If you can`t explain it to a six year old, you don´t understand it yourself«. Auch das Erklären von Inhalten hilft folglich dabei, die wichtigsten Informationen zu identifizieren und diese noch einmal verständlich in eigenen Worten zu erklären. Dabei werden eigene Wissenslücken oft schneller deutlich, als man es selbst erwartet hatte …

Fazit 

Eher der Macher oder doch ein Theoretiker? Auch wenn es noch so intuitiv und sinnvoll klingt – Lerntypen existieren nicht. Weder auditiv, haptisch, noch visuell. Wir lernen nicht besser, wenn wir versuchen unsere Methoden an den eigenen (vermeintlichen) Lerntyp anzupassen.

Um wirklich effektiv zu lernen, sollten wir uns stattdessen fragen, welche Lernmethode zu unseren Lerninhalten passt. Auch gesicherte Erkenntnisse aus der Lernforschung können uns dabei unterstützen, wirkungsvoll und nachhaltig zu lernen … und hier gibt es einige! 

Quellen & Literatur 📖

Aslaksen, K., & Lorås, H. (2018). The Modality-Specific Learning Style Hypothesis: A Mini-Review. Frontiers in Psychology, 9, 1538. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.01538

Coffield, F., Ecclestone, K., Hall, E., & Moseley, D. (2004). Learning styles and pedagogy in post-16 learning: A systematic and critical review.

Daumiller, M., & Wisniewski, B. (2022). Lerntypen – Warum es sie nicht gibt und sie sich trotzdem halten. The Inquisitive Mind. https://de.in-mind.org/article/lerntypen-warum-es-sie-nicht-gibt-und-sie-sich-trotzdem-halten

Looß, M. (2001). Lerntypen? Ein pädagogisches Konstrukt auf dem Prüfstand. Die Deutsche Schule, 2(93), 186–198.

Mayer, R. (2009). Multimedia Learning (2nd ed.). Cambridge: Cambridge University Press. doi:10.1017/CBO9780511811678

Newton, P. M., & Salvi, A. (2020). How Common Is Belief in the Learning Styles Neuromyth, and Does It Matter? A Pragmatic Systematic Review. Frontiers in Education, 5, 602451. https://doi.org/10.3389/feduc.2020.602451

Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2008). Learning Styles: Concepts and Evidence. Psychological Science in the Public Interest, 9(3), 105-119. https://doi.org/10.1111/j.1539-6053.2009.01038.x

Schäfer, E. (2017). Welche Mythen existieren über das Lernen im Erwachsenenalter? In: Lebenslanges Lernen. Kritisch hinterfragt. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-50422-2_1

Seidel, T., & Krapp, A. (Hrsg.). (2014). Pädagogische Psychologie (6., vollständig überarbeitete Auflage). Beltz.

Vester, F. (2021). Denken, Lernen, Vergessen: Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann lässt es uns im Stich? (40. Auflage, Aktualisierte Neuausgabe). dtv.

Willingham, D. T., Hughes, E. M., & Dobolyi, D. G. (2015). The Scientific Status of Learning Styles Theories. Teaching of Psychology, 42(3), 266-271. https://doi.org/10.1177/0098628315589505

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Louis
Student Wirtschaftspsychologie (M.Sc.)👨‍🎓 In Ausbildung als systemischer Coach💡 Begeistert für die Weiterentwicklung von Menschen & Organisationen 🌱Kontaktieren
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